Ein zentraler Nutzen Neuen Versorgungskommunikation spielt die Argumentation, dass Akteure sich nicht allein durch die Konsequenzen einer kommunikativen Handlung oder durch festgelegte Normen leiten lassen, sondern durch die Qualität und Plausibilität seiner Inhalte wirkt und somit eine Gesundheitskommunikation aus Gründen bevorzugt.
Das Ziel ist, zu einer neuen strukturell rationalen Praxis für Gesundheitskommunikation, die den übrigen Ansprüchen einer primär am Menschen orientierten Versorgung verstärkt.
Ein deliberativer Ansatz vermeidet die Falle, utilitaristische Probleme als Rechtfertigung unmoralischer Handlungen zur reinen Maximierung des Gesamtnutzens heranzuziehen. Problematische und kontextunabhängige Gesinnungsethiken, die sich im Gesundheitswesen eingerichtet haben, werden nur durch Diskurse überwunden und wirken zurück auf die allgemeine Praxis einer Gesundheitseinrichtung.
Wir vertreten eine deontologische Perspektive, die Deliberation als Teil der praktischen Vernunft in der Kommunikation zeitgemäßer Versorgungsszenarien integriert, um moralische Pflichten flexibel und kontextsensitiv anzuwenden.
Deliberation ermöglicht eine rationale Auseinandersetzung über die Anwendung und Priorisierung von Regeln in konkreten Situationen des kommunikativen Handelns von Gesundheitsakteuren. So erwächst aus Überzeugungen keine starre Position, sondern erlaubt eine Anpassung an den Kontext. Die noch anzusprechende Strukturelle Rationalität unterstützt diese Flexibilität, indem sie die Konsistenz und Kohärenz von Handlungsprinzipien betont und durch diskursive Reflexion ergänzt wird.
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Die Neue Versorgungskommunikation gibt Antworten auf entfremdende und tendenziell dehumanisierende Tendenzen algorithmisch geprägter Kommunikationsrituale.
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Gemeint ist der Hang zur Mechanisierung und Automatisierung eigentlich menschlich anmutender Kommunikation, die der Fürsorge oder medizinischen Versorgung (Care) eigentümlich ist. Es spricht nichts dagegen, in Redaktionskalendern den Ritualen wiederkehrender Kommunikation (Darmmonat, Herzwochen, …) zu entsprechen. Auch darf angenommen werden, dass bestimmte Patienten bestimmte Informationen zu einem bestimmten Zeitpunkt erwarten. Den Anspruch einer vollständigen Vorhersagbarkeit erfüllt das nicht.
Die Bedeutung der Deliberation in der Neuen Versorgungskommunikation ist deshalb zentral.
Als deliberatives Projekt setzt die Neue Versorgungskommunikation auf eine Praxis der Abwägung, die sich fundamental von algorithmischen oder automatisierten Prozessen unterscheidet.
Deliberationen sind nicht vorhersehbar oder mechanisch ableitbar, sondern ein dynamischer Prozess der Wissenserweiterung und des gemeinsamen Lernens. Gerade diese Unvorhersehbarkeit und das Potenzial zur Erweiterung unserer Erkenntnisse machen die Deliberation zu einem unverzichtbaren Element in der Gestaltung einer verantwortungsvollen und adaptiven Versorgungskommunikation (vgl. Nida-Rümelin, 2020).
Diese Herangehensweise ist besonders relevant für die Neue Versorgungskommunikation im Gesundheitswesen. Sie ermöglicht es, ethische Prinzipien und Pflichten situativ anzuwenden, ohne deren grundlegende Bedeutung zu vernachlässigen. In der komplexen Realität des Gesundheitssystems, wo oft verschiedene (vermeintliche) moralische Verpflichtungen miteinander konkurrieren, bietet dieser Ansatz einen Weg, um verantwortungsvolle und kontextgerechte Entscheidungen zu treffen.
Deliberation (Abwägung von Gründen) wird somit zu einem wesentlichen Bestandteil einer reflektierten deontologischen Ethik im Gesundheitswesen. Sie fördert den offenen Dialog zwischen allen Beteiligten – Ärzten, Patienten, Pflegepersonal und Verwaltung – und trägt dazu bei, dass Entscheidungen, wie kommuniziert werden sollte, nicht nur auf starren Regeln basieren, sondern auch die spezifischen Umstände und Bedürfnisse berücksichtigen.
So entfaltet die Neue Versorgungskommunikation mit der Zeit ihren kulturellen Eigenwert, idealiter dann, wenn mithilfe humanistischer Prinzipien gelingt, das gespaltene Selbstverhältnis einer zunehmend entfremdenden Kommunikation im Gesundheitsgeschehen zu überwinden.