Redlich erscheint uns der Hinweis, gleich zum Beginn auf das philosophische Fundament unserer Überlegungen zur Neuen Versorgungskommunikation hinzuweisen. Die Autoren lassen vom spezifischen Ansatz praktischer Vernunft leiten (vgl. Nida-Rümelin, 2020).

Das Motiv, eine neue Ethik für Gesundheitskommunikation zu begründen, liegt in der Korrektur einer kommunikativen Praxis, die bedenkliche Tendenzen aufweist. Angestrebt wird, das Kommunikationskalkül strukturell rational zu einer neuen Ordnung hin zu restaurieren. Dem Weg, den moralischen Selbstverständlichkeiten im Gesundheitsgeschehen kommunikativ zu begegnen, liegt in der Anerkennung eines normativen Realismus, der uns von endlichen, falliblen und revidierbaren Standpunkten aus urteilen lässt (vgl. Gabriel 2014). Damit ist gemeint, dass bisher eine als rational wirkendes Kalkül, überwunden werden darf. Kommunikative Handlung im Sinnfeld gelingender Gesundheit darf nicht in rationale und vernünftige Praktiken getrennt werden. Das dürften wir nicht wollen, weil wir dann rational empfinden würden, was als unvernünftig gelte und vernünftig, was irrational wäre.

Bereichsspezifische Rationalitäten gibt es nicht. Kommunikatives Handeln, auf das wir in der Neuen Versorgungskommunikation fokussieren, muss als Ganzes – sei es für eine Person, ein Krankenhaus oder jeder anderen Organisation des Gesundheitsgeschehens – vernünftig sein. Menschen lassen sich nicht in Funktionalitäten oder soziologische Rollen zerlegen. Vielmehr muss jede vernünftige Person die verschiedenen normativen und empirischen Erwartungen so integrieren, dass ihre gesamte Praxis in sich stimmig ist (Nida-Rümelin, 2020).

Individuen, ihre Organisationen (Systeme) und ihre Institutionen sind nicht gefangen in übergeordneten Strukturen, denen wir nichts entgegenzusetzen hätten. Wie sind Gestalter einer Kommunikation, die Gesundheit strukturell eher begünstigen kann, als die Standardlehren über Public Relation und Marketing suggerieren.

Der Humanismus als Kriterium einer normativen Freiheit, die uns keiner übermächtigen Autorität folgen lässt, versetzt uns in die Lage, als Akteure in Krankenhaus, Krankenkasse und Arztpraxis selbst Verantwortung zu übernehmen. Weder eine unsichtbare Hand des Marktes, noch ein unerkanntes Ding an sich oder jede andere metaphysische Entität hindert uns daran.

Die Gestaltung einer Neuen Versorgungskommunikation ist vernünftig, nimmt die Wirklichkeit nicht naiv zur Kenntnis, sondern bearbeitet diese hinsichtlich der Dimension menschlicher Würde im stetigen Dialog des diskursiven Streits . Es gilt:

Der zwangslose Zwang des besseren Arguments (Habermas .

Sich beim kommunikativen Handeln von Gründen leiten zu lassen, setzt ein gewisses Maß an Offenheit und Dialogbereitschaft voraus. Dabei suchen wir keine Letztbegründungen, sondern Werte, die sich universal (kultur- und zeitenübergreifend) anwenden lassen. Moralische Tatsachen sind unserer Auffassung nach etwas, was wir als Menschen tun oder unterlassen sollen. Moralische Tatsachen melden allgemeine, alle Menschen betreffende Ansprüche an und definieren Kriterien, anhand derer unser Verhalten zu bewerten ist (Gabriel, 2020c).

Seit Jahren streiten sich eine absatzorientierte, eher zur manipulativen Gesinnung neigende Marketingkommunikation, die noch keine Werbung (Reklame) ist, mit einer altvorderen Praxis der Public Relations paradigmatisch um die Vorherrschaft einer gesundheitsbezogenen Kommunikation, wie sie von Gesundheitseinrichtungen ausgehen sollte.

Wir plädieren für eine umfassende Restauration der Gesundheitskommunikation.

Die Neue Versorgungskommunikation setzt auf praktisch vernünftige, normative Gründe im Rahmen diskursiver Beratungen, mit dem Ziel einer neuen Wesenheit, die sich aus vier Essenzen zusammensetzt. Sie gilt uns als eine Form der praktischen Vernunft, die auf dem Prinzip der rationalen Verständigung zwischen den Handelnden basiert.